Text Annette Jahnhorst

Anja Isabel Schnapka: Bilder machen mit allen Mitteln

Es war die Farbigkeit, die mich nötigte, noch einmal genau hinzuschauen. Die fotografische Basis war erkennbar, doch gab es Röhren, die wie Schleifen über das noch halb erkennbare Motiv gelegt waren und aufgrund befremdlicher Farbtönung sofort an Untersuchungen in den Tiefen eines noch näher zu bestimmenden Untergrundes gemahnten: Verschlingungen, Verstrickungen, Ab- oder Zuleitungen, wovon und zu welchem Zweck?
Die dunkel gedämpfte Farbigkeit und erkennbaren Körperfragmente weiblicher Torsi riefen bei mir sogleich Assoziationen an Gewalt und Zurichtung hervor. Zugleich legten die großen, den Vordergrund bestimmenden Schleifen Zu- und Abflüsse nahe, Bewegung also, die den gestockten Atem sogleich wieder in Schwung brachten und Neugier weckten. Welche befremdliche, sofort eigenständig anmutende Bildwelt tat sich da auf?
Das waren Anregungen genug, um mehr sehen zu wollen. Und der Gang ins Atelier folgte. Die Eigentümlichkeit der Farbigkeit bestätigte sich. Die fragmentarischen Motive erweiterten sich über den Schwerpunkt des Menschlich-Leiblichen hinaus in Tierwelt und bizarre Apparaturen.
Anja Isabel Schnapka, geboren 1968 in Wiesbaden/Hessen, beschäftigt sich seit ihrem 16. Lebensjahr mit dem fotografischen Bild. In den Jahren 1987 bis 1995 studierte sie Theater-, Film-und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Kunstpädagogik in Frankfurt am Main. „Die Dialektik von Zerstörung und Konstruktion bei Thomas Bernhard und Arnulf Rainer“ war Thema ihrer interdisziplinären Studienabschlußarbeit. Ein Thema, das unabhängig von den genannten Protagonisten, als Wegweiser für eine Annäherung an das Werk der Künstlerin verstanden werden kann.
Anja Isabel Schnapka arbeitet vorzugsweise mit analogem Bildmaterial, eigene und gefundene, schon historische Fotografie. Dabei spannen sich die Inszenierungen von einer Portraitfotografie mit möglichst natürlichem Licht hin zu einer Aktfotografie, die bewusst nahe – alltägliche – Wahrnehmung zulassen möchte und weniger den künstlich überhöhten „schönen Leib“ in einer entsprechenden Lichtführung meint.
Sie digitalisiert dieses Bildmaterial und beginnt einen Schaffensprozess, den sie selbst als „Malen am Computer“ bezeichnet. Die Motive werden zerstört, übereinander gelegt, farblich überarbeitet bis ein dichtes Werk entsteht, das in der Lage ist, implodierende Assoziationsketten beim Betrachter auszulösen.
Die Künstlerin, Anja Isabel Schnapka, saß, wie sie berichtet, als Kleinkind häufig vor einer Reproduktion des Meisterwerks „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch. Während ihrer Studienzeit rekonstruierte und restaurierte sie expressionistisches Filmmaterial und kuratierte eine Ausstellung zum Thema „Gewalt gegen Frauen“. Ein eigener Film „Spital-Splatter“ entstand, der mit origineller Perspektivik Ironie ins Spiel bringt, die sich auch in ihrem heutigen statischen Werk wiederfindet.
Die Schöpfungen von Anja Isabel Schnapka legen keine mir bekannten Traditionen und Anknüpfungen an künstlerisch geschaffene Bildwelten nahe. Es sind keine phantastischen Erfindungen, keine surreal begründeten Bildwerke. Die Künstlerin schafft einen individuell zu füllenden Assoziationsraum, in dem sie mit einem kaleidoskopischen Blick ihre eigene Bildwelt generiert. Ihre Tierwelt entstammt Jagdszenen, ihre Apparaturen häufig der chirurgischen Medizin, ihre menschlichen Modelle erleiden Fragmentierung und Entindividualisierung durch ihre künstlerische Bearbeitung. Die ausgewählte Fotografie verweist auf gesellschaftliche Konditionierungen, Zurichtungen und Einengungen, Rollenspiele.
Die von ihr gewählten Farbtöne, die sie selbst als „Patina“ definiert, führen meine Auffassung weg von kunsthistorischen Bezügen hinein in die eher düstere Atmosphäre affektorientierter Konstruktionen und Deformationen.
Anja Isabel Schnapka gelingt ein Blick hinter die Kulissen – faszinierender Weise bar jeder Anklage, unterwandert von feiner Ironie und – in neuen Arbeiten – sich ausbalancierend in poetisch lyrische Luftbilder frei schwebender Strukturen und Formfindungen. Sich diese Werke in der ihnen angedachten Größe in einer raumfüllenden Ausstellung vorzustellen, wäre tatsächlich eine Erweiterung des Blicks durch digitale Kunst.

© Annette Jahnhorst